Ja, Du hast richtig gelesen. Nicht Kellerdisko, sondern Tellerdisko. Ach ja, und die kleinen Vierbeiner werden oft auch Chiwawa geschrieben. Ist aber falsch, wie so Manches dieser Tage. Doch der Reihe nach.
Mein letzter Eintrag ist mehr als eine Woche alt. Wo ist die Zeit nur geblieben? Es ist so viel passiert, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll und doch so wenig. Frieden in der Ukraine gibt es noch immer nicht.
Deshalb bin ich seit zehn Tagen täglich damit beschäftigt, Kinder, Frauen, alte und behinderte Menschen aus der Ukraine in vorübergehende und dauerhafte Unterkünfte zu vermitteln. Rund 500 Menschen aus der Ukraine haben Jena in den letzten zwei Wochen erreicht. Sie wohnen bei Verwandten, Bekannten, vorübergehend in Hotels und in Gemeinschaftsunterkünften. Zusätzlich haben ca. 200 private Haushalte ihre Türen weit geöffnet für die unbekannten Ankommenden.
Familien, Alleinstehende, WGs und Paare – sie alle tragen ihr Angebot in ein Formular ein, das die Stadt Jena zu diesem Zweck veröffentlicht hat. Danach heißt es, die passenden Menschen zusammenzubringen. Das klingt leichter als es ist. Für all die Mitwohnangebote von weiter her, fehlen uns Ressourcen für eine Vermittlung. Dafür ist ein Eintrag beim Elinor-Netzwerk besser. Angebote für Mütter mit Kindern haben wir reichlich, schwierig wird es für Hochbetagte, große Familien, Geflüchtete mit Haustieren. Doch viele Menschen wachsen dieser Tage über sich hinaus. Sie haben meinen allergrößten Respekt.
Da ist die Geschichte zweier Familien aus Charkiw, die ihren blinden Freund nicht im Stich gelassen haben und während der beschwerlichen Flucht unzertrennlich aneinander festhielten. Platz für acht Menschen an einem Ort? Wir haben es geschafft. Zwei befreundete Familien aus Jena, die im selben Haus wohnen, haben die acht aufgenommen. Sie brachten es nicht übers Herz, dass der blinde junge Mann sich von seinen Freunden würde trennen müssen, dabei hatten wir auch für ihn etwas gefunden, nur eben an einem anderen Ort in Jena. „Einer mehr, was macht das schon. Die Menschen brauchen einander jetzt.“
In einem Notquartier war ein Paar mit Chihuahua angekommen, das dort nicht bleiben konnte. Nur eine von vielen Fluchtgeschichten mit Haustier. Ich weiß nicht, wie oft wir nachfragen mussten, bevor wir endlich herausgefunden hatten, ob es sich bei dem kleinen Vierbeiner um eine Hündin oder einen Rüden handelt. Der Vormittag ist dabei auf jeden Fall verstrichen.
Freiwilliger in der Notunterkunft: „Woher soll ich denn wissen, ob das eine Hündin ist?“
Wir: „Fragen Sie die Besitzer.“
Freiwilliger: „Die können aber kein Deutsch“
Wir (aber nur in Gedanken): „Der Hund vielleicht…? Wozu gibt es Übersetzungsapps und Fotos auf die man zeigen könnte!?“
Wir: „Dann schauen Sie doch bitte nach, ob das Tier Hoden hat!“
Freiwilliger: „Ich sehe keine. Nein, hat es nicht. …?“
Wir: „Dann ist es wohl eine Hündin.“
Bei der Vermittlung kommt es nun mal auf sowas an. Oft öffnen gerade Hundebesitzer ihre Herzen für Geflüchtete mit Hund. Zu einer gerade läufigen Hündin kann man natürlich keinen Rüden vermitteln. Logisch, oder?! Erwähnen sollte ich vielleicht noch, dass die Kommunikation mit dem Chihuahua (oder dessen Familie) dann doch irgendwie funktionierte. Einen halben Tag stand fest, das Paar würde weiterreisen zu Verwandten in Rumänien.
Dafür hatten wir wie viele aufnahmebereite Menschen abtelefoniert? Nun, immerhin wussten wir jetzt, wer darunter eine kleine Hündin aufnehmen würde. Die Arbeit hatte sich also gelohnt. Hoffentlich ist der nächste Hund kein männlicher Rottweiler…
Katzen, die hätte ich fast vergessen, aber ich wollte davor unbedingt noch von der Tellerdisko berichten.
Im Juni vergangenen Jahres hatten wir uns einen Geschirrspüler gekauft. Neun Monate später brachte der Storch unser Baby, mit beleuchtetem Innenraum, damit sich die Teller nicht im Dunkeln fürchten oder zum Rauschen des Wassers Disko machen können.
Nun, der Storch wäre mir offen gestanden lieber gewesen, als der zugegeben, sehr nette Handwerker. Den gewünschten Kaffee konnte ich ihm nicht anbieten, denn unser Kaffeevollautomat hat vor zwei Wochen die Segel gestrichen. Ende April wird er zur Reperatur abgeholt. Vermutlich streikt das Gerät, weil es all meine lieben Workshopgäste und Tage der offenen Tür nach zwei Jahren Pandemie vermisst, ich nicht mehr zum Wischen und Saugen komme und überhaupt nur zum Nötigsten.
Ob es nun am fehlenden Kaffee lag oder an der Tatsache, dass ich mich überhaupt nicht um den Handwerker kümmern konnte – ich suchte ja gerade für den Chichuahua eine Bleibe – es machte plötzlich klirr und ich dachte mir nur: „Komisch, ich habe doch gar keine Teller auf der Arbeitsfläche stehen?!“
Es war auch kein Teller, sondern das Glas unserer Deckenlampe. Also Besen und Kehrblech holen: „Schmeißen Sie das Zeug einfach hier rein. … Was? Nein, natürlich nicht Sie! Ich meinte den Handwerker in meiner Küche. … Er hat keine Hoden? … Der Hund natürlich…“
„Himmel!“ Ein paar Telefonate später sagte mir eine ganz freudliche Stimme: „Sie leisten Großartiges. Und wissen Sie was, Sie dürfen auch mal schreien.“ Gott, tat das gut.
Es reichte, dass ich diese Gewissheit hatte, als am Freitag unsere Tochter nicht in der Schule angekommen war. Spoiler-Alarm: Sie war angekommen.
Mich erreichte gegen 10:30 Uhr ein hektischer Anruf der Schule, dass unser Kind nicht angekommen sei. Die Schule beginnt wohl gemerkt um 8:00 Uhr. Früh bemerkt, würde ich sagen, aber immerhin. Man müsse jetzt leider die Polizei rufen. „In Ordnung. Machen Sie das und halten Sie bitte Kontakt zu meinem Mann… er kann gerade besser reagieren als ich. … Hund … Ehepaar um die 80 … Vater hat Tochter und Schwiegermutter im Stadtzentrum abgestellt, holt jetzt den Rest der Familien nach … ist in drei Tagen wieder da… DREI???.. Moment… Ja, Polizei. In Ordnung.“ Mein Puls war auf Hochtouren.
Ich also den Flauschsupport angerufen: „Tochter weg… ruf bitte in der Klinik an, ob sie da aufgenommen wurde … ach ja, beschreib der Polizei was sie heute früh getragen hat. Hellblaue Jacke…“
All die Aufregung war vollkommen umsonst. Unsere Tochter war in der Schule und saß seit 8:06 im leeren Klassenraum. Ein bissel zu spät, dazu eine Raumänderung… Lehrerzimmer zu, Sekretariat nicht besetzt. Auf der Hofpause wurde unser Kind von einer Lehrkraft entdeckt. (Ich bin so stolz. Dem Impuls ein doppeltes „e“ zu schreiben, habe ich eben nicht nachgegeben.) Die Polizei wurde völlig umsonst aktiviert. Sie hat ja dieser Tage nichts Besseres zu tun.
Kein Kaffee, kaputte Lampe, vermeindlich verschmundene Tochter … Keine Zeit zum Aufregen, ich hatte und habe Wichtigeres zu tun. Die Katze, da war ja noch diese Mutter mit ihrem Teenager und einer Katze.
Mütter mit Kleinkind wollen alle („Wir haben schon Kinderspielzeug organisiert.“), Teenager schon weniger.
In Gedanken: „Wie wäre es, wenn Sie eine Katze dazu bekommen?“
Tatsächlich: “ Ich verstehe. Katzenhaarallergie… da kann man nichts machen. Trotzdem vielen Dank … Moment… Wie bitte? Sie nehmen die drei auf??? Mutter, Tochter und Katze? … Ach ja, Immunisierung. … Verstehe …. Sie ziehen eine natürliche Desensibilisierung einer Spitze vor… Wirklich? …. Großartig! Vielen Dank.“
Echte Geschichte. Ob ich beim nächsten Einkauf eine große Packung Taschentücher extra kaufe. Wie gern würde ich all den Menschen, die ihre Herzen so weit öffnen, einen Strauß Blumen bringen und ihnen persönlich danken. Menschen wachsen an allen Stellen über sich hinaus. Wer selbst Haustiere hat, kann sich vorstellen, wie wichtig es, nicht von seinen Tieren getrennt zu werden. Das gilt ganz besonders für traumatisierte Menschen. Bitte, wir brauchen noch mehr Angebot für Menschen mit ihren Tieren. Ja und auch für Ältere, für geflüchtete Studierende aus aller Welt (da sind auch Männer darunter), für sprachlose Kleinkinder, verwirrte Teenager …
Erlaube mir an dieser Stelle in diesem Bericht einen ernsten Gedanken. Wer Kriegsflüchtlinge aufnimmt, holt sich keine Gäste wie dich und mich ins Haus. Diese Menschen sind sehr dankbar, schon für sehr wenig, aber sie sind entwurzelt, vom Krieg geschüttelt, inzwischen vollkommen mittel- und manche auch hoffnungslos.
Hier findest Du einen guten Überblick was zu bedenken ist. -> Was müssen Helfer beachten
Denkt alle auch an die Studierenden aus der Ukrainie und aus Russland, die an deutschen Hochschulen immatrikuliert sind und nun nicht mehr an Geld aus der Heimat kommen, an Geld, das seinen Wert verloren hat und weiter verliert. Denken wir nicht Schwarz-Weiß.
Ich habe es in den letzten Tagen oft gesagt. Gern bin ich bereit, im nächsten Winter zu frieren, wenn nur der Frieden rasch wiederhergestellt wird. Ich bin ehrlich: Ein wenig Sorge habe ich um Stempelflausch, mein Herzenprojekt. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, darüber nachzudenken. Ich vertraue darauf, dass mich die Solidarität all der Menschen, die mit Stempelflausch verbunden sind, durch die nächsten Wochen tragen wird, auch wenn ich mich seltener melden kann und nur sehr wenig Zeit für Kreatives habe. Mal ehrlich, ich werde gerader dringender an anderer Stelle gebraucht.
All Eure Nachrichten zu lesen, das macht mich spät in der Nacht vor dem Schlafengehen glücklich. Noch glücklicher würde mich allerdings machen, wenn ich heute noch das achtzigjährige Ehepaar vermitteln könnte, das nicht bei seiner Nichte in Jena in der schon völlig überbelegten Wohnung bleiben kann.
Müde, glücklich und unbeschreiblich dankbar an diesem sonnigen Sonntag bei uns
Deine
Liebe Dörthe,
es ist toll wie du das alles meisterst und dich einsetzt… Dieser Spagat zwischen Alltag, Job, Familie und nun auch Organisation der Flüchtlingshilfe ist sicher nervenaufreibend… Ich habe großen Respekt davor und bin erstaunt was doch alles dazu gehört… Natürlich gibt es auch Tiere, alte Menschen und ebenso Männer, welche eine Unterkunft brauchen… Nur denkt man nicht bis in dieses kleinste Detail als „Otto Normalverbraucher“… Danke für den Einblick, ich drücke fest die Daumen, das alle welche eine Unterkunft brauchen und wollen, auch eine passende bekommen… Und was die „Bastel -Solidarität“ angeht, steht ja zum Glück dein Onlineshop zur Verfügung… So kann man dich entlasten, sich selbst eine Freude bereiten und trotzdem durch das Spenden noch etwas Gutes tun… Super Aktion, weiter so…
Liebe Marie-Louise,
danke von Herzen. Ja, helfen ist prima, helfen mit Bedacht noch viel besser. Fürs Krisenmanagement bin ich zwar nicht geboren, dafür bin ich ein viel zu ängstlicher Mensche und ich mag meinen Routinen. Aber wenn ich gebraucht werde, dann bin ich da. Übrigens auch für mich, d.h. früh ins Bett, Sport, Tanz und Meditationen bleiben. Auftanken ist wichtig. Und bei allem Stress gibt es eben auch Momente zum Schmunzeln. Ich werde nie wieder einen Chihuahua ansehen können, ohne nach seinen … Du weißt schon zu schauen.
Viele liebe Grüße
Dörthe