Die Sache mit der Straßenbahn, oder warum ich so spät wieder zuhause ankam

Eigentlich wollte ich Euch ja ein weiteres meiner Halloween-Projekte zeigen, aber dann hatte ich heute mal wieder eins meiner skulrilen Reiseerlebnisse. Um es vorweg zu nehmen, meine Straßenbahn hat sich verfahren.

Okay, es ist nicht meine Straßenbahn, sondern die unseres Nahverkehrsbetriebes. Ich saß nur drin, nach einem stressigen Tag mit einer Menge anderer Fahrgäste. Draußen wars schon dunkel, ich ganz froh in den nächsten 10 Minuten endlich daheim zu sein. An der Bahn stand mein Fahrziel nur bog die Bahn am Paradies(bahnhof) nicht nach rechts ab, sondern nach links.

Das sagt nur Ortskundigen was, ist mir schon klar. Außerdem erscheint es nicht ungewöhnlich. Rechts rum führt kein Weg ins Paradies…

Wie dem auch sei, wir – besser sie, die Bahn – hätten rechts statt links fahren müssen. „Umleitung?“ fragte sich mein müder Geist (keine Sorge, zu den Geistern kommt ich auch gleich noch). Umleitung wäre ja eine mögliche Erklärung. Vielleicht war das auch so eine Kunstaktion, in der jemand herausfinden möchte, wie sich Menschen im Feierabendverkehr verhalten, wenn sie unverhofft auf eine Irrfahrt gehen müssen. Noch besser, vielleicht ein Experiment des Institutes für Psychologie. Das neue Semester hat ja gestern begonnen.Vielleicht wollte man auch ein paar der Studierenden verschrecken, damit diejenigen, die noch keine Wohnung in Jena gefunden haben…

Doch statt an der nächsten Haltestelle hektisch aus der Bahn zu stürzen, wie die meisten meiner Mitreisenden, sagte ich mir „Viele Wege führen nach Hause.“ Wenn die Bahn wirklich nicht an meiner Heimathaltestelle ankommen würde, was angesichts der neuen Streckenführung wahrscheinlich, wenn auch nicht unmöglich gewesen wäre, dann könnte ich immer noch ein Stück laufen.

Innen leuchtete der Schriftzug „Felsenkeller“ auf, die freundliche Stimme vom Band flötete „Felsenkeller“, draußen war fast schon das Stadion in Sicht. Für alle Nichtjenenser, da passte etwas so ganz und gar nicht zusammen. Ich musste schmunzeln. (Inzwischen zahlen sich meine regelmäßigen Meditationsübungen offenbar aus.)

Die anderen Passagiere lassen sich sich grob in folgende Gruppen einordnen: Ortsunkundige (vermutlich Erstsemester), Abgelenkte (Gespräch, Handy, Zeitung, Buch, Hund…), Menschen mit Wahrnehmungsbeinträchtigungen (Sehen, Hören…)

Zum Glück funktionierte die (Sitz)nachbarschaft auf Zeit. Den Seniorinnen in meiner Nähe erklärte jemand geduldig, es wäre tatsächlich etwas nicht in Ordnung aber man müsse sich nicht sorgen, womit wir schon bei der nächsten Gruppe sind …. Die Engagierten. Diese erklärten nicht nur den Seniorinnen, sondern auch dem Fahrer der Bahn was er schon selbst erkannt hatte – „Sie haben sich verfahren!“. Dann waren da noch die Genervten, die Besorgten und die Entspannten. Letztere deutlich in der Minderheit, um nicht zu sagen, das war ich.

Die ersten Fahrgäste begannen zu streiten, was mir dann doch ein wenig auf den Geist ging. Ach ja, für alle Ungeduldigen hier schon mal ein Foto von lauter kleinen Geistern. Aus dem Workshop versteht sich, nicht aus der Bahn.

Als der Fahrer zurrückfuhr, wenden ist mit einem Niederflurfahrzeug auf Schienen ja irgendwie ein bissel blöd, meldete sich eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf. „Und was, wenn uns jetzt ne Bahn entgegenkommt.“

Das war der Moment, in dem sich ein Bekannter zu mir setzte – ein Besorgter übrigens. Beim Einsteigen war ihm offenkundig noch nicht so an Konversation gelegen gewesen. Jetzt setzte er sich um. Das Gesicht zu einem einzigen Fragezeichen geformt. Er flüsterte „Jetzt hat er es gemerkt.“ Eine kleine Irrfahrt kann soziale Kontakte befördern, Streit allerdings ebenso. Die ersten Menschen warfen sich unschöne Bemerkungen an den Kopf.

Zum Glück hielt der Fahrer an, stieg aus und stellte per Hand eine Weiche. Diese Aktion ließ vermuten, dass unsere Bahn gleich aufs Parallelgleis wechseln würde. Da bekommt der Begriff „zweigleisig fahren“ eine recht plastische Beschreibung. Wir Glücklichen!

Eigentlich bestand jetzt kein Grund mehr, sich mit Streiten von der eigenen Angst vor einem Auffahrunfall abzulenken, aber das haben einige Passagiere erst später mitbekommen, als wir tatsächlich am Felsenkeller einfuhren. Und wer da noch streitet, der verpasst schon mal das Aussteigen. *ups*

Der Fahrer verkündete via Lautsprecherdurchsage er fahre nun wieder „die normale Strecke“. Einige meckerten noch, wir hatten schließlich Verspätung. Immerhin, eine Gruppe Reisender war tiefenentspannt. Wahrscheinlich Gäste aus NRW. Wer dort schon mal versucht hat, einen Anschlusszug zu erreichen…

Wir hatten wirklich keinen Grund zum meckern. Wir konnten bequem sitzen bleiben, die Bahn war wieder auf Kurs und der Fahrer konnte schließlich nicht fliegen. Womit wir bei einer bescheidenen Überleitung aber immerhin bei den Gespenstern angekommen sind, die sich auf der Schachtel befanden, die ich mit meinen Gästen im Halloween-Workshop gebastelt habe.

Genauer, sie sollten sich dort befinden, aber ich – sagen wir mal so, habe auch einen kleinen Umweg genommen. Kurz: Der Streifen Designerpapier „Wie verhext“ sollte sich im Materialpaket befinden, war aber nicht drin. Es war wie verhext.

Also blieb uns nur, das beste aus der Situation zu machen, die Weiche auf DI-vollkommen-Y zu stellen und einen Streifen selbst zu bestempeln. Man hätte auch den Frosch küssen und auf ein Wunder hoffen können. Engagierte hätten dem Sitznachbarn erklärt: „Die Dörthe hat das Designerpapier vergessen.“ und mir ihre Materialkiste gezeigt: „Siehst Du, nichts drin!“

Aber ich hatte einen Kurs voll Entspannter. Ihr erinnert Euch, „Viele Wege führen…“ in dem Fall zum Designerpapier.

Was habe ich für ein Glück, das meine Gäste von mir einen durchaus durchdachten und gelungenen, aber nicht den perfekten Workshop erwarten. Klar, mir war das unangenehm, dem Fahrer heute sicher auch, aber passiert war passiert.

Der kleine Umweg übers zusätzliche Stempeln hat immerhin dazu geführt, dass meine Gäste sich damit beschäftigen konnten, wie man weiße Gespenster am besten so coloriert, dass sie lebendig wirken. Weiß und Colorieren, ich weiß – das klingt nach einem Widerspruch. Ist es aber nicht. Schaut Euch doch mal meine kleinen Geister an, die hinter der Deko und am Tragegriff herausschauen.

Kurz, man muss das Leben nehmen wie es kommt. Damit fährt man noch immer am besten.

Fährt? Nein, ich habe meine Bahngeschichte nichts mehr hinzuzufügen. Der Beitrag war lang genu, mein Tag ebenfalls.

Ich küss jetzt meinen Flauschsupport (für den ich keinen Frosch an die Wand werfen musste) und wir genießen den Rest des Abends bei einer Tasse Tee auf dem Sofa.

Bis bald und verfahrt Euch nicht (und wenn doch, dann genießt es so gut es geht).

Eure

Dörthe

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Stephie
Stephie
6 Jahre zuvor

Schöne Geschichte 🙂 da geh ich doch jetzt glatt mit nem Lächeln im Gesicht ins Bett 🙂

Dörthe
Dörthe
Antwort an  Stephie
6 Jahre zuvor

Siehst Du, es lohnt sich hier vorbei zu hüpfen. Gute Laune gratis.
Danke!
Dörthe

Petra R.
Petra R.
6 Jahre zuvor

Daumen hoch, nicht für das Erlebnis, sondern für den Bericht. L.G. Petra

Dörthe
Dörthe
Antwort an  Petra R.
6 Jahre zuvor

Daumen hoch für diesen Kommentar.
Dörthe

Reichling
Reichling
6 Jahre zuvor

Hach Dörte, Deine Umwege sind immer wieder köstlich 🙂

Dann hat uns diese kleine Malheur ja noch alle zum Lächeln gebracht.

LG Elisabeth

Dörthe
Dörthe
Antwort an  Reichling
6 Jahre zuvor

Danke, das freut mich.
Dörthe

Petra T.
Petra T.
6 Jahre zuvor

Huhu Dörthe,
ich finde es super, wie du solche Missgeschicke mit Humor nehmen kannst, echt viel wert in der hektischen Zeit heute. Und uns auch noch ein Lächeln ins Gesicht zauberst. Daumen hoch !!
LG Petra

Dörthe
Dörthe
Antwort an  Petra T.
6 Jahre zuvor

Mit Humor geht alles besser.
Ach, wie schön, dass Ihr alle noch was von meinem Umweg hattet.
LG
Dörthe