Die Weisheit, die im Unvorhersehbaren schlummert

Bevor ich von der Kreativen Stunde gestern Abend berichte, lass mich ein paar Gedanken teilen und natürlich ein, zwei Fotos.

Als ich vor knapp einem Monat von einem auf den anderen Tag hineingeworfen wurde, in einen zwölf Stunden langen Arbeitstag, da blieb keine Zeit zum Nachdenken. Was getan werden musste, musste getan werden. Wie immer, wenn ich weiß, wofür ich etwas tue, fiel es mir nicht schwer an mein Limit und ab und an wohl darüber hinaus zu gehen. Wie immer, fällt mir das besonders leicht, wenn ich etwas für Andere tue.

Das Gefühl vollkommener Erschöpfung holt Dich aus dem Kopf und in den Körper, der Geist hat Ruhepause.

Keine Zeit zum Verweilen im wohligen Gestern, als noch Zeit war zum ausgiebigen Kreativsein, für Videodrehs und Zerstreuung. Wieviel Zeit wir doch täglich verstreichen lassen.

Keine Zeit zum Nachdenken über das Morgen, ob dieser Krieg wohl näher rücken würde. Wieviel Zeit wir mit Mutmaßungen über unsere Zukunft vergeuden.

Vom Modus eine Checkliste für den Notfall zu verfassen, war ich nahtlos hinübergeglitten in eine Tätigkeit, die meine volle Flexibilität, absolute Konzentrationsfähigkeit und reichlich Gelassenheit in angespannten Situationen forderte. Ich war unsicher. Ich war glücklich und stolz. Ich war gestresst. Ich war genervt. Ich war wütend. Ich war gerührt. Wenn ich darüber nachdenke, waren diese vier Wochen ein echtes Sinnbild für unser ganzes Leben und sie haben manche Lektion für mich und die Menschen um mich herum bereitgehalten.

Wie entsteht die Colorierung Schritt für Schritt

Zuallererst einmal, ist mir sehr deutlich geworden, was man alles schaffen kann, wenn man voll und ganz bei der Sache ist. Das wußte ich schon vorher und es war deshalb nicht schwer, sofort in diese Kraft zu finden. Mit dieser Überzeugung führe ich schließlich schon seit neun Jahren mein Geschäft.

Schnell wurde in dieser Ausnahmesituation aber auch klar, wo alte Gedankenmuster mir noch immer hinderlich sind. Veränderung passiert immer außerhalb unserer Komfortzone.

Ich habe gern einen Plan und die Dinge, die mir wichtig sind, gern unter Kontrolle. Neues lernen und ausprobieren macht mir Spaß, aber ins allzu Unbekannte geworfen zu werden, ist überhaupt nicht mein Ding. Dummerweise – oder vielleicht zum Glück – ist unser ganzes Leben eine Reise durchs Unbekannte.

Dann ist da mein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit, der manchmal anstregend sein kann für andere Menschen mit einem anderen Wertesystem als dem meinen. Zum Beispiel bewege ich mich nicht schneller, wenn jemand forsch und fordernd auftritt. Offen gestanden, erreicht man damit bei mir eher das Gegenteil. Lieber sorge mich zuerst um die Menschen, die freundlich sind, die nach Möglichkeiten und Informationen fragenn und die für sich selbst eintreten, ohne dabei ohe Rücksicht auf Verluste um sich zu schlagen. Ganz nach dem Grundwissen eines Rettungssanitäters: Wenn Du am Unfallort ankommst, kümmere Dich nicht zuerst um die Schreihälse.

In einer Gesellschaft, in der sich diejenigen durchzusetzen scheinen, die am lautesten quaken, fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass sich Menschen dadurch einen Vorteil verschaffen wollen, indem sie unverschämt auftreten. Mich beeindrucken Bankkonten, Titel und Beziehungen nicht im Mindesten. Ist es nicht unsere verdammte Pflicht die Schwächsten zuerst zu schützen?! Oder ist es klüger, sich die Unverschämtesten vom Hals zu schaffen, um wieder mehr Zeit für alle anderen zu haben?

In den letzten Wochen habe ich zahlreiche innere Kämpfe mit mir selbst dazu ausgefochten und irgendwie kann ich nur sehr schwer über den Schatten meines Gerechtigkeitsempfindens springen.

Inzwischen ist mir die Erkenntnis gekommen: Vielleicht muss man manchmal zuerst die Kröte schlucken, die große Wellen schlägt, damit das Wasser im Teich nicht allzu stark über die Ränder schwappt. Eine Kröte ist eine Kröte, ob sie um schmutzigsten Teich quackt oder im Hotelswimmingpool. Am besten sieht man in ihr nicht mehr, aber auch nicht weniger als das. Es ist die Natur der Kröte zu quaken … Oder waren das nur Frösche? Nun, Du verstehst, die schluckt man im Deutschen nicht, die küsst man nur im Märchen.

Ja, bedingungslose Liebe ist auch noch eine Lektion, die ich nicht bis zum Ende gelernt habe. Da war noch die Sache mit dem Mittagessen. Ich fand es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass unsere großen Jungs nicht aus der Knete kamen. Klar, ich liebe unsere Kinder, aber wütend und enttäuscht war ich trotzdem.

Habe ich ihnen nicht von klein auf gesagt, ich würde sie so lieben, wie sie sind? Stimmt das wirklich und zu allen Zeiten? Gerade ist doch Semesterpause gewesen und hatte ich nicht bei all der vielen Arbeit verdient, dass jemand auch an mich denkt und mir ein warmes Mittagessen oder überhaupt irgendwas macht. Fünfzehn Minuten Pausen sind nun wirklich nicht genug, um selbst zu kochen.

Stattdessen holt ich mir frustriert eine Banane, schmierte rasch eine Scheibe Brot, der Abwasch türmte sich, die Wäsche ebenso. Mein Frust wird nicht eben einladend gewirkt haben und satt bin ich davon auch nicht geworden. Schnell können die besten Beziehungen toxisch werden, wenn wir uns von unseren Gefühlen überwältigen lassen.

Wie dem auch sei: Meine Lieben haben gelernt, dass Berge von Abwasch Schwärme von Fruchtfliegen erschaffen, die jetzt am süßen, frisch gepressten Saft nippen wollen, sodass das gemütlichste Frühstück zum Dschungelcamp mutiert. Springformen rosten, wenn man sie im Nassen stehen lässt. Die Müllabfuhr wartet nicht darauf, dass wir unsere Tonnen vor die Tür stellen. Gewaschene Socken wandern nicht von allein in den Schrank zurück. Termine sind Termine, auch wenn ich niemanden vorher daran erinnere. „Ups, vergessen! Oje, verpasst!“

Nicht, dass sonst keine Chance für solchen Erkenntnisgewinn gewesen wäre. Doch als ich jetzt geballte vier Wochen als Fallschirm ausgefallen war, musste der Rest der Familie fliegen lernen, der Aufprall war dennoch hart für uns alle.

Liest Du auf anderen Blogs wie großartig das Leben 7/24 rund ums Jahr ist? Entweder sind diese Menschen wirklich erleuchtet – ich vermute allerdings, sie würden dann nicht bloggen – oder Du hörst Ihre Lebensgeschichten nur durch den Filter des Vorzeigbaren, dessen was attraktiv macht und anzieht.

Mein Blog, das bin ich mit allen Grautönen des Lebens. Hier liest Du nun also von der Springform, die mein Mann gerade noch vor dem Rosttod errettet hat, von Fruchtfliegen im Orangensaft und woher sie kamen und davon, dass wir in all dem Chaos alle was gelernt haben über unsere Grenzen und Fähigkeiten. Nicht, dass ich gleich nach der nächsten Herausforderung rufe. Ich bin glücklich, dass das Leben in gewohnte Pfade zurückgefunden hat. Aber Wachstum entsteht außerhalb der ausgetretenen Pfade. Was wohl hinter der nächsten Kurve auf mich wartet?

Du wirst davon lesen. Danke, dass es Dich gibt in meinem Leben.

Deine

Dörthe

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Kerstin
Kerstin
2 Jahre zuvor

Hallo Dörthe,

ich finde den Blogbeitrag so herrlich ehrlich und nachvollziehbar – Danke dafür! Viele Situationen kommen mir so bekannt vor, auch wenn der Grund einmal nicht 24/7 alles erledigen und an Termine erinnern zu können ein anderer war. Aber auch wenn ich gern alle Fäden in der Hand halte habe ich daraus gelernt, nur wenn es mal nicht rund läuft, lernt auch die Familie sich zu kümmern. Also liegt auch in diesen stressigen Situationen immer etwas Gutes. Ich wünsche dir auf jeden Fall wieder etwas weniger stressige Tage und etwas mehr Zeit zum kreativ sein.

Viele Grüße
Kerstin